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"Warum tut er das?"


Foto © Susanne Klein

Ich habe es in meinem Alltag als Hundetrainerin mit ganz unterschiedlichen Hundehaltern zu tun. Immer öfter fällt mir auf, dass die Erwartungen an den Hund und auch an mich sich zwischen zwei Extremen bewegen.

Das eine Extrem bilden Hundehalter, die mir ein Problem, welches sie mit ihrem Hund haben, beschreiben und von mir erwarten, dass ich es "wegmache" bzw. ihnen sage, wie sie "es wegmachen" können. Die Frage "Warum tut der Hund das", wird dabei nicht gestellt. Das Symptom nervt und soll weg. Probleme wie z.B. anhaltendes Bellen in der Wohnung, ungebärdiges Verhalten an der Leine oder die Lust daran, Katzen zu jagen, sollen per Knopfdruck beseitigt werden. Und das oft, nachdem sie bereits jahrelang bestehen und hausgemacht sind. Viele Hundehalter machen sich leider erschreckend wenige Gedanken um ihr Haustier. Es wird ein Hund - oft ausschließlich nach äußerlichen Kriterien - ins Haus geholt, ohne sich darüber zu informieren, was dies bedeutet. Was braucht ein Hund, was sind seine art- und rasseeigenen Bedürfnisse, wie kommuniziert er, welches Verhalten ist normal und welches nicht, was braucht ein Hund an Erziehung, Training und Auslastung, und ist man bereit, all dies bestmöglich zu leisten und sich diese Kenntnisse anzueignen und die entsprechend nötige Zeit und auch Geld einzusetzen? "Bin ich bereit, meinem Hund zu geben, was er braucht, damit er sich wohl fühlt, damit er glücklich ist?"

Fragen, die sich viele vor dem Hundekauf nicht stellen. Stattdessen wird ein Hund ins Haus geholt, und - ungeachtet seiner Bedürfnisse und Eigenheiten - soll er sich bitteschön unauffällig und nahtlos ins hektische, menschliche Leben einpassen und "funktionieren". Einfach so. Manchmal geht das irgendwie "gut" - für den Menschen. Manchmal aber eben auch nicht. Da ist dann der Leidensdruck, der aus den Folgen des fehlenden Interesses am Lebewesen Hund entstanden ist, zu groß - für den Menschen. Der Hund kläfft zuhause anhaltend, pöbelt Nachbars Fiffi an, gräbt den Garten um. Das nervt. Blöder Köter. Und dann werde ich gefragt, wie man das jetzt schnellstmöglich unterbinden kann. Welche Art von Sprühhalsband ist besser, um das nervige Kläffen zu stoppen? WARUM der Hund das für den Menschen störende Verhalten zeigt, wird nicht gefragt. Wie es dem HUND dabei geht, wird ebensowenig gefragt.

Dann gibt es aber auch noch das andere Extrem - Hundehalter, die viel zu viel "warum" fragen. Die tonnenweise Bücher lesen und alles nur Erdenkliche tun, damit es dem Hund gut geht und er ein möglichst artgerechtes Leben führen kann. Diese Hundehalter versuchen, alles richtig zu machen, gehen fleißig jahrelang in die Hundeschule, besuchen Seminare, tauschen sich in Foren aus usw. Versteht mich nicht falsch - ich finde diese Sorte Halter toll. Nur was ich manchmal beobachte, ist, dass in der Tat zu viel "warum" gefragt wird. Alles möchte analysiert und verstanden werden, damit es optimiert (und kontrolliert ...) werden kann.

Das geht aber nicht. Kein Mensch - weder der grandioseste Kynologe noch der erfahrenste Hundetrainer - wird jemals alle Warum-Fragen beantworten können. Wir sind Menschen. Und egal, wie lange, intensiv und genau wir beobachten und forschen - wir werden niemals ein anderes Lebewesen ganz verstehen können. Es wäre arrogant, das zu glauben.

Wir verstehen ja manchmal nicht einmal unseren Lebenspartner, mit dem wir seit Jahren oder gar Jahrzehnten zusammen leben. Und das, obwohl er derselben Tierart (Mensch) angehört und dieselbe Sprache spricht wie wir. Und da glauben wir, ein Tier, was einer anderen Art angehört und vollkommen anders kommuniziert, komplett verstehen zu können?

Wir können (und sollen!) uns bemühen, unsere Hunde bestmöglich zu verstehen. Sie bleiben aber immer artfremde Wesen, die wir niemals ganz verstehen und durchschauen können werden. Sie haben ihre eigene Welt, ihr eigenes Empfinden, sie haben Gefühle, die unseren menschlichen Gefühlen ähnlich oder gleich sind, und sie haben Gefühle - davon bin ich überzeugt -, die in unserem menschlichen Repertoire nicht enthalten sind und die wir deshalb niemals nachvollziehen können. Unsere Bemühungen, Hunde und ihr Verhalten zu verstehen, sind und bleiben genau das - Bemühungen. Menschliche Interpretationen menschlicher Beobachtungen.

Manchmal haben Hunde einfach eine Motivation, Dinge zu tun und Verhaltensweisen zu zeigen, die wir nicht verstehen können, egal wie intensiv wir "warum" fragen, egal wie sehr wir uns bemühen zu verstehen, egal wie viel und wie gut wir trainieren.

Und wisst Ihr was? Das ist doch völlig okay. Man kann ganz viel verstehen, man kann ganz viel trainieren und den Hund gut erziehen. Und dennoch kann es passieren, dass der Hund trotzdem die eine oder andere Verhaltensweise zeigt, wo man - egal wie sehr man sich bemüht - Grenzen der Trainierbarkeit und des Verstehens erreicht. Manche Hunde pöbeln eben manche anderen Hunde an, und die Frage nach dem Warum kann nicht beantwortet werden.

Manche Eigenheiten können wir nicht verstehen. Manche Charaktereigenschaften des Hundes sind tatsächlich genau das: Charaktereigenschaften. Die nicht "wegtrainiert" oder restlos verändert werden können. Manche "Warum tut er das"-Fragen kann ich nicht beantworten. Ich bin keine Hellseherin. ;-)

Viel wichtiger als die Frage "Warum tut er das?" ist dann die Frage: "Okay, er tut das, und ich weiß nicht warum und kann es nicht verändern. Wie kann ich damit umgehen, damit wir beide gut damit klarkommen?"

Mein kleiner süßer Coffee z.B. brüllt gerne entgegenkommenden Artgenossen "DU ARSCHLOCH!!!" entgegen. Warum? Ganz ehrlich - trotz 5 Jahre intensiver Bemühungen und Trainings, kann ich die Frage nur mit "Ich weiß es nicht" beantworten. Ich weiß aber, wie ich solche Situationen händeln muss, damit er ruhig bleiben kann. Und manchmal geht das nicht, und er brüllt dann halt doch. NA UND?

Manche Hundehalter sollten dringend anfangen, Warum-Fragen zu stellen und diese bestmöglich zu beantworten.

Und manche Hundehalter sollten einige ihrer brennenden Warum-Fragen mit "Ich weiß es nicht, und ich muss es nicht wissen. Mein Hund ist halt so, und ich liebe ihn so, wie er ist." beantworten.

Hunde sind Lebewesen. Wir haben uns unsere Hunde ins Haus geholt, ohne sie zu fragen. Es ist unsere Pflicht und Verantwortung, sie verstehen zu wollen und ihre Bedürfnisse bestmöglich zu erfüllen.

Hunde sind Lebewesen. Wir werden sie nie ganz verstehen können. Manches wird uns an ihnen immer mysteriös erscheinen. Manches sollten wir einfach akzeptieren, ohne Warum, ohne Wenn und ohne Aber.

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